Hallo Finanzindustrie - Adieu Entwicklungshilfe

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Das Spektakel der Megasummen

Um Aufmerksamkeit zu bekommen, braucht es ein Spektakel. Das Spektakel im Zuge der Globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs) war die Errechnung der global notwendigen Investitionssummen, die es angeblich zur Erreichung der SDGs benötigt. Hinterfragt wurden die Berechnungen nicht, verstanden wahrscheinlich genauso wenig.

So gelang es, das Narrativ der Megasummen und – ganz nebenbei – die Lösung für das identifizierte gewaltige Finanzierungsloch im Zentrum der Entwicklungsdebatten zu verankern. So oder so ähnlich liest man heute: “Wir benötigen jährlich etwa 6 Billionen USD, um die Globalen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen… Aktuell schaffen wir nur etwa die Hälfte dieses Finanzierungsbedarfs. Es gibt jedes Jahr ein Multi-Billionen-Dollar Loch, welches der öffentliche Sektor alleine nicht stopfen kann.“[1] Oder: „Das wird nur möglich sein, wenn öffentliche und private Investoren ihre Bemühungen bündeln. Ausländische Direktinvestitionen spielen eine Schlüsselrolle für nachhaltige Entwicklungsfinanzierung...“[2]

Dieser Fokus auf angeblich benötigtes und zu mobilisierendes Finanzkapital hat dem ohnehin seit der Finanzkrise wachsenden Einfluss der Finanzwelt auf die Entwicklungshilfe einen weiteren Schub und – vielleicht noch wichtiger – hohe Legitimität gegeben.

 

Realitäts-Check: 3 Schlaglichter

Heute finanziert sich die Entwicklungshilfe selbst immer mehr durch Kredite vom privaten Kapitalmarkt. Der Anteil der Gelder, die das deutsche Entwicklungsministerium (BMZ) vom Kapitalmarkt leiht und als Entwicklungskredite weiterreicht, ist regelrecht explodiert, von 160 Millionen Euro 2006 auf 2,8 Milliarden Euro 2016. Dies sind fast 30 Prozent der gesamten Mittel des BMZ.[3]

2009 hat die Weltbank eine private Investmentfirma gegründet, die Investment Fonds verwaltet. Heute verwaltet die IFC Asset Management Corporation 10 Milliarden US-Dollar in 13 sogenannten Entwicklungsfonds.[4] Das nationale deutsche Gegenstück, die KfW Entwicklungsbank, gibt an, „derzeit Beteiligungen an 39 Fonds mit einem Buchwert von insgesamt EUR 1,3 Mrd“[5] zu halten. Die Tochterbank der KfW, die DEG, hat 52 Prozent ihrer 7,2 Milliarden Euro Entwicklungsgelder an Finanzinstitute (Banken und Fonds) vergeben.[6] Die Beteiligung an Unternehmen mit Sitz in Finanzoasen wie den Kaimaninseln oder Mauritius hat sich in 10 Jahren auf 372 Millionen Euro verfünffacht.[7]

Unter dem Slogan „Maximierung der Entwicklungsfinanzierung“[8] planen Weltbank und weiteren multilateralen Entwicklungsbanken, in großem Stil Kredite zu verbriefen, und in nach Risiko abgestuften Tranchen als handelbare Finanzprodukte an globale Investoren zu verkaufen. Damit würden Entwicklungsbanken systematisch in das Reich der Schattenbanken hinabsteigen, jenen unregulierten und intransparenten Bereich der Finanzwelt, der maßgeblich für die Finanzkrise 2007/8 verantwortlich war.

 

 Das passende Gegenstück: Finanzielle Inklusion

Damit nicht genug. Der – wenn man so will – Blick von der anderen Seite, den „Zielgruppen“ der Entwicklungspolitik, offenbart komplementäre Entwicklungen. Unter dem Schlagwort finanzielle Inklusion werden bedürftige Gruppen durch Entwicklungsmaßnahmen als Kunden für spezielle Angebote der internationalen Finanzindustrie gesehen und an diese herangeführt.

Mikrokredite sind die wohl bekannteste Form dieser finanziellen Inklusion. Bis heute wurden etwa 200 Millionen Schuldner rekrutiert. Der etwa 100 Milliarden US-Dollar schwere Mikrokredit-Markt wäre ohne umfangreiche Unterstützung durch die Entwicklungshilfe kaum so rasant gewachsen. Angesichts von immer mehr Studien, die Mikrokrediten keine Armuts- und Entwicklungswirkung attestieren, ebbt die Euphorie allmählich ab. Und auch neben hohen Überschuldungsraten lassen die hohen Einkünfte der Mikrofinanzbanken von etwa 20 Milliarden USD im Jahr 2010[9] – wohlgemerkt von den Zinszahlungen der ärmsten Teilen der Bevölkerung – an diesen Ansatz zweifeln.[10]

Neuer Boom-Markt sind Mikro-Versicherungen für Arme – beispielsweise gegen Ernteverluste oder Gesundheitsrisiken. Sie sollen „Entwicklungs-Rückschläge“ verhindern und „bessere, stabilere Lebensumstände“ ermöglichen, so die KfW.[11]

 

Die Finanzialisierung der Entwicklungshilfe

Auf der Planungs- und Finanzierungsseite wird also die Finanzindustrie zu einem bedeutenden entwicklungspolitischen Akteur. Passgenau wird dem gegenüber eine große Gruppe von „finanzdienstleistungsbedürftigen“ Armen entdeckt. 

Wächst die Bedeutung der Finanzindustrie wie geschildert, wird auch von Finanzialisierung  gesprochen. Damit verdrängen finanzielle Motive wie Renditeerwartungen oder Steuervermeidung schrittweise entwicklungspolitische Motive. Beispielhaft dafür steht die Erklärung des BMZ zum rasanten Anstieg der DEG-Beteiligungen an Unternehmen in Finanzoasen: Dies sei notwendig, „um sich in einem kompetitiven Marktumfeld behaupten“[12] zu können. So wird in immer größerem Ausmaß Hilfe an Renditeerwartung geknüpft, und im fiktiven Konferenzjahr 2048 könnte es dann immer heißen: Keine Rendite, keine Hilfe.

 

Roman Herre

Mitarbeiter bei der Menschenrechtsorganisation FIAN Deutschland (www.fian.de)

 

FIAN ist Mitglied des globalen Netzwerkes zum Recht auf Nahrung. Dessen aktuelles Jahrbuch widmet sich dem Thema Finanzialisierung und Digitalisierung (https://www.righttofoodandnutrition.org/when-food-becomes-immaterial-0)


[1] https://www.blendedfinance.earth/why-blended-finance/

[2] “This will only be possible if public and private investors pool their efforts. Foreign direct investment plays a key role in sustainable-development financing, but what measures can and should be taken to promote such investment?”  DIE 2016

[3] Bezug ODA; http://www.bmz.de/de/ministerium/zahlen_fakten/oda/leistungen/mittelherkunft_2015_2016/index.html

[4] https://www.ifcamc.org/

[5] https://www.kfw.de/KfW-Konzern/Newsroom/Pressematerial/Themen-kompakt/Agrarfinanzierung/

[6] DEG Jahresabschluss / Lagebericht 2017, S.29

[7] Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage (3.4.2018, Drucksache 19/

1508), Anlage I

[8] http://www.worldbank.org/en/about/partners/maximizing-finance-for-development

[9] Mader (2103): Scheitern auf Raten. In: Max Planck Forschung 3/2013

[10] Umfassende Analysen bspw. durch Stewart et al (2012): Do micro-credit, micro-savings and micro-leasing serve as effective financial inclusion interventions enabling poor people, and especially women, to engage in meaningful economic opportunities in low- and middle-income countries? A systematic review of the evidence.

[11] Interview des KfW-Vorstandsmitglieds Herr Kloppenburg vom Oktober 2016 (https://youtu.be/Q4uVaUjnU50)

[12] Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Fraktion Die Linke vom 3.4.2018 (Drucksache 19/ 1508)

Schöne Neue Welt