Die Zukunft der Arbeit von damals – ein Blick zurück im Jahr 2048

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Der Kampf um Gute Arbeit damals …

Vor 30 Jahren überwog in den Diskussionen zur Zukunft der Arbeit in Deutschland und Europa ein pessimistischer Ton. Zwar wurden auch Chancen betont, aber sie sprachen zumal seitens der Politik und Wirtschaft fast nur jüngere und flexible Hochqualifizierte an. „Digitalisierung“ war das Top-Thema, begleitet von Stichworten wie „Disruption“. Arbeitgeberverbände forderten eine Ausweitung von Arbeitszeiten und behaupteten allen Ernstes, die Beschäftigten wollten das so. Und auch wenn die meisten ihre damalige wirtschaftliche und berufliche Situation eher optimistisch beurteilten, blickten viele doch sorgenvoll auf eine ungewisse Zukunft. Durch die Medien geisterten Horrorszenarien mit massenhaften digitalisierungsbedingten Arbeitsplatzverlusten. Manche riefen „das Ende der Arbeit“ aus. Und viele fragten sich, was dann aus ihnen werden soll.

Neoliberale Globalisierung, Liberalisierung öffentlicher Daseinsvorsorge und die Deregulierung der Arbeitsmärkte hatten tiefe Spuren in der Arbeitswelt hinterlassen. Die Zahl der „Gewinner“ wuchs, weit mehr aber noch die Zahl der „Verlierer“. Die „Finanzmärkte“ mit ihren unsichtbar wirkenden Akteuren schienen kaum kontrollierbar. Inmitten geopolitischer Spannungen, einer Dauerkrise Europas und einer ambivalenten Arbeitsmarktbilanz, stellten digitale Plattform-Ökonomie und „Künstliche Intelligenz“ neue Herausforderungen dar. Deren Beherrschbarkeit erschien keineswegs gewiss. Der gewerkschaftliche Einsatz für Gute Arbeit war wichtig und stellte einen zentralen Beitrag zum späteren Kurswechsel dar. Doch obwohl es gelungen war, wie mit dem gesetzlichen Mindestlohn, erste Kurskorrekturen einzuleiten, stand der große Durchbruch noch aus. Neue Allianzen mit der Zivilgesellschaft und ihren Organisationen waren nötig. Denn nicht nur Rufe nach radikalen Lösungen wie ein bedingungsloses Grundeinkommen wurden lauter, sondern mehr noch Rufe nach sozialen Rechten nur für „Bio-Deutsche“. Dabei spielten Gemeinwohldienlichkeit und ökologische Tragfähigkeit kaum eine Rolle.

… und die Situation im Jahr 2048

Heute erscheint das surreal. Die Vision vom Ende der Arbeit, hat sich als krasse Illusion erwiesen. Stattdessen ist 2048 für die meisten Menschen Gute Arbeit fast selbstverständlich – sie ist nicht nur gesund und menschengerecht gestaltet, erlaubt ein gutes Auskommen und ist sozial abgesichert, sondern auch ökologisch nachhaltig und vor allem sinnhaft. Fast niemand arbeitet mehr in einem Job, den sie oder er eigentlich nicht machen möchte. Es gibt zwar noch belastende Tätigkeiten, aber sie werden heute viel besser als damals bezahlt und nur für begrenzte Zeit ausgeübt. Bildung, Gesundheit/Pflege und andere gesellschaftlich notwendige Dienstleistungen genießen hohes Ansehen und bieten attraktive Arbeitsbedingungen. Öffentlich verantwortet sind sie dem Zugriff der Finanzmärkte und entsprechender Profitlogik entzogen. Der Nutzen der eigenen Tätigkeit für die Gesellschaft, der ‚Gebrauchswert‘, steht im Vordergrund. Der Einsatz digitaler Assistenzsysteme, die die Arbeit erleichtern und ökologische Folgen mindern helfen, ist allgegenwärtig. Als „cool“ gilt heute nicht mehr das neueste Produkt, sondern wenn es – auch aufgrund von Reparierbarkeit und einem „Recht auf Tüfteln“ – sehr lange gut funktioniert.

Für eine knappe Mehrheit stellt das klassische „Normalarbeitsverhältnis“ als abhängige Vollzeitbeschäftigung die vorrangige Erwerbsform dar. Aber diese „Vollzeit“ hat sich für die meisten erheblich verkürzt – für die meisten durch eine erhebliche Anzahl zusätzlicher freier Tage. Unfreiwillige Teilzeitarbeit gibt es kaum noch. Vielmehr als damals ist jedoch 2048 die Arbeitswelt durch Selbständige und durch ‚hybride‘ Formen von Selbständigkeit und abhängiger Beschäftigung geprägt. Weil viele Menschen das so wollen – und problemlos können. Für sie und ihre zahlreicher gewordenen Mitglieder bieten Gewerkschaften in vielen Städten und auf dem Land Co-Working-Spaces an, je nach Branche und Ausrichtung auch genossenschaftlich gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Organisationen organisiert. Sie sind zugleich Foren für die Verständigung über den sozialen Nutzen der eigenen Tätigkeit und andere politische Themen. Der entscheidende, Erwerbsarbeit-bezogene Unterschied zu früher ist, dass die selbstständige Tätigkeit heute auch konsequent sozial abgesichert und kollektivvertraglich geregelt ist. US², das Kürzel für „Universelle Soziale Sicherung“, ist allseits bekannt, stellt es doch status-, berufsgruppen-, Unternehmens- und länderübergreifend das Kürzel für eine faire Zurechnung von Ansprüchen in der neu geschaffenen und selbstverwalteten Bürgerversicherung dar, die Arbeitslosen-, Kranken-/Pflege-, Weiterbildungs-, und Rentenversicherung kombiniert, und auch Auszeiten für persönliche Weiterentwicklung und gesellschaftliches Engagement finanziell absichert: Sie greift nicht nur zentrale Forderungen eines Grundeinkommens auf, sondern hilft auch das Problem internationalen Lohn- und Sozialdumpings zu lindern. Die Zeiten einer universellen Konkurrenz aller gegen alle und ohne Rücksicht auf Dritte scheinen damit hoffentlich vorbei zu sein.

Gemeinwohlorientierung, kollektivvertraglich geregelt

Heute sind in Tarifverträgen neben einer fairen Entlohnung und Regelung unmittelbarer Arbeitsbedingungen auch die Sicherstellung des gesellschaftlichen Nutzens und der ökologischen Nachhaltigkeit Gegenstand. Vor 30 Jahren klang das utopisch, heute können es sich jene, die den damaligen Neoliberalismus nicht erlebt haben, kaum anders vorstellen. Wer hat schon Bock, einen Job zu miesen Konditionen für sich selbst oder für andere auszuüben, zumal dann die Folgen früher oder später wie eine Art Bumerang zurückkehren? Damals war das aber leider eher die Regel als die Ausnahme. Probleme der Externalisierungsgesellschaft und der imperialen Lebensweise oder des Übertretens der Grenzen planetarischer Tragfähigkeit waren für die Gewerkschaften sperrig und kaum kommunizierbar. Bei den zivilgesellschaftlichen Organisationen hingegen, die das offensiver thematisierten, war die Bedeutung Guter Arbeit nicht nur hinsichtlich des materiellen Lebensunterhalts, sondern auch hinsichtlich der Identität und des Selbstwertgefühls der meisten Menschen, oft nur am Rande Thema. Die Bildung neuer Allianzen konnte diese Unterschiede allerdings im Laufe der Zeit überbrücken, wenngleich nicht ganz ohne Spannungen.

 

Michael Fischer (73) leitete vor 30 Jahren den Bereich Politik und Planung der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di.  Dort bearbeitete er zahlreiche Themen an den Schnittstellen zwischen Gewerkschaften und Zivilgesellschaft, wie etwa in den Bereichen internationale Handelspolitik und Digitalisierung. Der Beitrag gibt seine persönlichen Erinnerungen und Ansichten wieder.

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